Eine weitere Reise in die Ukraine

Wieso um alles in der Welt kommt man auf die Idee, in die Ukraine zu reisen? Schließlich befindet sie sich gerade im Krieg und wird von Russland angegriffen. Aktuell bekomme ich diese Frage häufiger gestellt. Die Antwort ist dabei aber fast so vielschichtig, wie der Krieg selbst: Verkürzend sage ich immer wieder gerne, dass wir (mein Freund Alex und ich) den Sohn eines befreundeten Flüchtlingspärchens in der Frontstadt Charkiv besuchen wollten. Gerne sage ich aber aber auch, dass wir die Ukraine regelmäßig besuchen, es faszinierend finden und den Leuten vor Ort auch zeigen wollen, dass wir (die Menschen z.B. in der EU) sie nicht vergessen oder gar aufgegeben haben. Um ehrlich zu sein, ist es aber eine Mischung aus allem und noch mehr. Eine Freundin warf mir einst vor, wir würden Kriegstourismus betreiben und uns an dem Leid der Menschen erfreuen, was ich entschieden zurück weisen möchte, wie es Politiker formulieren. Tatsächlich haben wir schon seit vielen Jahren ein großes Interesse an den Ländern im Osten Europas, weswegen wir eigentlich schon fast jedes Land dort einmal besucht oder zumindest kurz durchquert haben. Zum ersten mal fuhren wir 2016 in die Ukraine, als wir drei Wochen unterwegs waren und Freunde in Kyiv besuchten. Inzwischen leben diese Freunde in Wien, wo sie aber schon lange vor dem offiziellen Kriegsbeginn hingezogen sind. Letztes Jahr fuhren wir für einige Tage das erste mal nach Ausbruch des Krieges nach Kyiv hin. In der kurzen Zeit prasselten viel zu viele Eindrücke auf uns hinein. Und wer mich kennt weiß, dass ich noch immer von den Erfahrungen dieser Reisen zehre, wenn ich von unseren Abenteuern erzähle.

Foto eines mehrstöckigen Wohnhauses mit dreckiger Fassade und vielen kleinen Balkons
CC BY-SA 4.0   Marius Timmer Mehrstöckiges, für die Ukraine typisches, Wohnhaus

Entgegen meiner Pläne, hatte ich es im letzten Jahr leider verpasst, vernünftig davon zu berichten und ein neues YouTube-Video oder Bilder zu veröffentlichen. Daher habe ich in diesem Jahr meine analoge Kamera mit genommen und einige Fotos geschossen und auch einige Videos gemacht, in der Hoffnung, wenigstens dieses Jahr ein zusammenfassendes Video zu machen. Die Besonderheit dieses mal war, dass wir den Unabhängigkeitstag der Ukraine in ihrer Hauptstadt verbrachten und uns auch wieder die ländlichen Regionen aber auch z.B. Charkiv ansahen.

Krieg

Wie man sich vorstellen kann, wird man immer wieder daran erinnert, dass sich das Land im Krieg befindet. An der Autobahn stehen in regelmäßigen Abständen von wenigen Kilometern Panzersperren zusammen mit jeweils einer Hütte am Straßenrand, damit die Soldaten vor Ort im Notfall schnell Straßen komplett sperren können. Sind diese Hütten mit Soldaten besetzt, so gilt dort eine Höchstgeschwindigkeit von 5 km/h. Die Polizei nutzt diese Orte allerdings auch gerne für Kontrollen.

In Städten haben wir Nachts außerdem eine Art Ausgangsperre erlebt, wobei auf jeder größeren Kreuzung ein Streifenwagen mit Blaulicht abgestellt wird und die Beamten jedes Fahrzeug kontrollieren. Ob das eine klassische Ausgangssperre ist, oder man prinzipiell noch unterwegs sein darf, sich aber immer wieder ausweisen muss, weiß ich nicht.

Dadurch, dass der Luftraum in der Ukraine gesperrt ist, fliegen dort keine Flugzeuge oder Helikopter mehr. Wenn man Nachts in den Himmel schaut, sieht man bei Wolkenfreiem Wetter die Sterne und ihre Sternenbilder. In Städten wie Kyiv oder Poltawa sieht man hin und wieder aber auch kurz Punkte aufleuchten; Das sind von Russland gestartete und von den Ukrainern abgefangene Raketen. Im ersten Moment denkt man da nicht dran. Wenn es einem klar wird, fühlt es sich dann aber doch sehr merkwürdig an. Gerade in Kyiv ist die Luftabwehr aber sehr gut, weswegen wir uns wenig Sorgen machten, dass die Raketen oder die abgefangenen und zur Erde fallenden Reste ausgerechnet unseren Hotelbalkon treffen würden.

In der Hauptstadt herrscht augenscheinlich das alltägliche Leben. Sehr viele Menschen sind unterwegs und machen ihr Ding. Der krieg sorgt dafür, dass an jeder Ecke Armbänder in den Farben der Ukrainischen Flagge oder ganze Flaggen verkauft werden. Viele Innländische Touristen sind dort unterwegs und machen Urlaub. Auf dem Platz vor dem Verteidigungsministerium besuchten wir eine Ausstellung der im Gefecht eingesetzten Luft- und Bodendrohnen. Zu jedem Gerät gab es Infotafeln, man konnte die Soldaten ansprechen, die auch damit arbeiten und die Geräte auch mal anfassen. Aus Deutscher Sicht wirkt das erst mal völlig absurd, wenn man aber einmal drüber nachdenkt, macht es durchaus Sinn. Und außerdem ist es wirklich spannend, diese ganzen Gerätschaften einmal zu sehen. Dort trafen wir auch das Fernseh-Team von Al Jazeera, mit dessen Moderator ich kurz sprach. Wie ich erfuhr, schliefen sie im selben Hotel, in dem auch wir übernachteten.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch eine Menge gefallender Soldaten oder getöteter Zivilisten. Am Euromaidan in Kyiv befindet sich eine kleine Wiese, in die Flaggen für die Toten gesteckt werden. Einige von ihnen sind auch mit Bildern oder mehr Infos zu den Soldaten ausgestattet. Es ist inzwischen ein recht großes Flaggenmeer geworden. Wie viele Leute durch den Krieg ums Leben kommen, wird einem auch klar, wenn man die vielen neuen Friedhöfe sieht, die aus dem Boden gestampft wurden.

Foto eines neu angelegten Friedhofes über dem die Ukrainische Flagge weht
CC BY-SA 4.0   Marius Timmer Ukrainische Flagge weht über dem Friedhof für die Gefallenen des Krieges

Gedenkstätten

Auch wenn die großen Richtungsschilder auf den Autobahnen entfernt wurden, um die Russischen Soldaten zu desorientieren, fanden sich hin und wieder kleine Hinweisschilder. Häufig eine Information über das nächste Restaurant oder eine Tankstelle auf dem Weg oder Ähnliches. Um sich also über große Entfernungen durch das Land zu navigieren brauchten wir eine Karte. Aus dem Grund hatte ich mir vor der Reise eine App mit Offline-Kartenmaterial heruntergeladen. Von der Reise im Letzten jahr wusste ich ja noch, dass mich jedes Megabyte Roaming-Daten einen Euro kosten würde. Auch wenn Navis eigentlich nur navigieren, wäre da ein nettes Sümmchen zusammen gekommen, wenn ich die Reise über online geblieben wäre.

Foto eines mit Sprühfarben unkenntlich gemachten Straßenschildes
CC BY-SA 4.0   Alexander M. Die wenigen Straßenschilder, die noch stehen, wurden dafür mit Sprühfarben unleserlich gemacht

Wir sahen aber auch Schilder am Straßenrand, die Gedenkstätten an die unterschiedlichsten Ereignesse beworben, sogar teilübersetzt auf Englisch. Während wir durch einen riesigen Wald fuhren, fanden wir ein solches Schild und fuhren in die Grobe Richtung. Es war die Rede von Widerstandskämpfern zur Zeit des Endes vom zweiten Weltkrieg und der Zeit danach. Die Straße, welche durch den Wald führte war (wie alle Straßen in dem Land) extrem breit. Vermutlich könnte man problemlos eine vierspurige Autobahn auf der selben Fläche realisieren. Mitten im Wald sahen wir eine größere Bushaltestelle, wie sie typisch für das Land ist: Recht groß und offen und mit Mosaiken verziert. Die Bushaltestelle hatte die beste Zeit ihres Lebens wohl schon hinter sich, aber dennoch fand ich sie echt schick.

Ein Foto von mir an einer klassisch sowjetisch aussehenden Bushaltestelle in der Ukraine
CC BY-SA 4.0   Alexander M. Ich an einer klassisch sowjetisch aussehenden Bushaltestelle

Gegenüber der Bushaltestelle befand sich ein großer Fußweg, der noch tiefer in den Wald führte. Nach wenigen hundert Metern erreichten wir Monumente und in Hügel gebaute Hütten, in denen sich die Widerstandskämpfer in den vierziger Jahren verschanzt hatten. Zu sehen, wie diese Leute einen Teil ihres Lebens verbracht haben um für die Freiheit von den Besatzern (Deutsche und später Sowjets) zu kämpfen, war schon wirklich beeindruckend. Heutzutage wurden die Reste dieser Zeit begehbar gemacht und für Familien mit Kindern durch Spielgeräte optimiert. Dort ist auch dieses Schwarzweißfoto mit meiner Analogkamera von mir entstanden:

Foto von Marius, der mittig auf einem Weg unter Bäumen im Wald steht
CC BY-SA 4.0   Alexander M. Bei einer Gedenkstelle an den Widerstand im zweiten Weltkrieg

Sollte dieser Beitrag ein wenig chaotisch und zusammen gewürfelt wirken, mag das daran liegen, dass er über mehrere Tage entstanden ist. Es fällt mir schwer, alle Erlebnisse an einem Stück in ein Strukturiertes Etwas zu gießen. Darum habe ich auch nach der Reise im vergangenen Jahr nach Kyiv nicht viel geschrieben, obschon ich genug Material für eine ganze Reihe an Videos gehabt hätte. Vielleicht (hoffentlich) kann ich mich noch dazu überwinden. Denn immer, wenn ich jemandem von diesen Reisen erzähle, merke ich, dass es eine Menge Redebedarf und ein riesiges Interesse an der Ukraine und der aktuellen Situation dort gibt, da man ansonsten ja alles immer nur “aus den Medien” hört und dies mal eine ganz andere Art des Einblicks ist.

Schlusswort

Die Reisen haben uns nur noch mehr mit der Ukraine verbunden. Daher werden wir im nächsten Jahr auch wieder dort hin fahren. Die Unterschiede und Entwicklungen zwischen unseren Besuchen zu beobachten ist auch sehr spannend und wird in Zukunft spannend bleiben. Wenn jemand irgendwelche Fragen bezüglich der Ukraine hat, schreibt mich gerne an. Ich freue mich, weiter aufklären zu können und hätte direkt wieder etwas, über das ich hier schreiben könnte.